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Der Geist von Loccum

4. Folge der Anekdoten-Serie zur Geschichte der Akademie anlässlich ihres 80jährigen Jubiläums im Jahr 2026

„Die Evangelische Akademie im norddeutschen Loccum bietet ein klösterlich anmutendes Ambiente. Mit der dort waltenden protestantischen Ernsthaftigkeit können andere Evangelische Akademien nicht mithalten. Gäste kommen aber gern nach Loccum, weil dort ge-sellschaftspolitisch wichtige Tagungen organisiert werden“, so schreibt die Journalistin Franziska Augstein 2019 in der Süddeutschen Zeitung über ihren Besuch einer Ukraine-Tagung in Loccum. Protestantisch-klösterliche Ernsthaftigkeit und zugleich eine weltoffene Lust am gesellschaftspolitischen Diskurs – sind das die Ingredienzien des vielzitierten „Geistes von Loccum“?

1952 werden die Gebäude der Evangelischen Akademie Loccum in Sichtweite zum 800 Jahre alten Zisterzienserkloster eingeweiht. Die Räumlichkeiten sind in diesen Anfangsjahren von den heutigen Standards weit entfernt: Mehrbettzimmer mit Vorhängen zwischen den kargen Schlafstätten, kleine Waschbecken auf den dunklen Gängen, nur gelegentlich kündet ein knatternd vorfahrender VW-Käfer vom ersten bescheidenen Wohlstand der beginnenden Wirtschaftswunderjahre. Der damalige Landesbischof Hanns Lilje schreibt bei der Einweihung der ersten Gebäude begeistert von „modernen Mönchszellen, hell und freundlich mit einem kleinen Schreibtisch und mit fließendem Wasser.“ Diese baulichen Grundlagen sind von ihm sehr bewusst in Auftrag gegeben worden. Sie bilden für ihn „gleichsam ein Mahnzeichen, jenen Geist gläubiger Aktivität und strenger geistiger Tradition nicht erlöschen zu lassen, der einst die Zisterzienser hier zu ihrer Pionierarbeit getrie-ben hat. Die Evangelischen Akademien sind heute gleichsam die Aussenforts der geistigen Auseinandersetzung der Kirche mit der Welt.“

Ob John McCloy, der amerikanische Hohe Kommissar der westalliierten Siegermächte für die neu gegründete Bundesrepublik Deutschland mit ihm in dieser Sache einer Meinung gewesen ist? Die Amerikaner unterstützen den Bau zwar zu einem Fünftel der Gesamt-summe mit 225.000 DM. Sie haben damit allerdings eher die Unterstützung ihres Reeducation-Programms im Sinn. Die Deutschen, von Nazizeit und Krieg immer noch ge-prägt, sollen die liberale Demokratie lernen – nicht zuletzt nun in Frontstellung zum autoritären kommunistischen Ostblock. Die Kirchen sind dabei eine willkommene NGO.

Niemand würde heute noch von kirchlichen „Aussenforts“ sprechen und der kommunistische Ostblock hat sich längst selbst aufgelöst. Doch die unterschiedlichen Intentionen der Anfangsjahre fügten sich offenbar zu einem Bestand eigener Art, der die Atmosphäre in Loccum, wenn man Franziska Augstein glauben darf, wohl bis heute prägt. Der unverwechselbare „Geist von Loccum“? Vielleicht.

Text: Florian Kühl