In diesem Monat veröffentlichte Akademiedirektorin Prof. Dr. Julia Koll ihren Debütroman „Das Buch Mechthild“ im renommierten Berliner Verlag Matthes&Seitz. Der Verlag schreibt, Julia Koll spiegele „in ihrem funkensprühenden Roman .. die Geschichte zweier Minnerinnen über die Epochen hinweg und verleiht damit der Welt von Neuem einen Hauch von Mystik.“ Das klingt spannend und ist Grund genug, in einem Interview mehr über das Buch zu erfahren:
Du hast einen Roman über Mechthild von Magdeburg geschrieben. Wer ist diese Frau?
Sie war eine Mystikerin und Schriftstellerin im 13. Jahrhundert, wahrscheinlich sogar die erste Frau, die auf Deutsch geschrieben hat. Es gibt aber so gut wie keine Belege für ihr Leben. Ob sie adliger Herkunft war, ob sie als Begine gelebt hat – das ist alles Spekulation. Selbst der Zusatz „von Magdeburg“ stammt erst aus dem 19. Jahrhundert. Nur ein einziges Buch ist von ihr überliefert: „Das fließende Licht der Gottheit“, entstanden über einen Zeitraum von über dreißig Jahren. Dieses Buch aber ist stilistisch wie inhaltlich so rasant, dass es die Mediävistik bis heute beschäftigt.
Und wie bist Du auf sie aufmerksam geworden?
Mechthild und ich sind uns schon einmal am Rande meiner Doktorarbeit begegnet, vor etwas zwanzig Jahren, hatten uns aber aus den Augen verloren. Als ich jetzt wieder auf sie gestoßen bin, wusste ich sofort: Das ist mein Stoff. Mich hat einerseits diese Ungewissheit rund um die historische Figur fasziniert, all diese offenen Fragen. Und andererseits natürlich ihr Buch. Bekannt sind bis heute die erotischen Dialoge zwischen Gott und der Seele. Mechthild sprüht aber auch sonst vor Einfallsreichtum. Es gibt sowohl richtig lustige Passagen in ihrem Buch, kleine Alltagserzählungen wie auch tiefsinnige Erörterungen.
Was hat Mechthild heutigen Frauen – und auch Männern noch zu sagen? Können wir ihrer ekstatischen Mystik noch etwas abgewinnen?
Die Mechthild, die ich erfinde, ist eine leidenschaftliche Gottessucherin, und sie bleibt es Zeit ihres Lebens. Ich glaube: Jede, die religiös auch nur ein bisschen musikalisch ist, kann mit einer solchen Suche etwas anfangen. Zumal Mechthild früh im Leben auf eine universelle Antwort auf die Gottesfrage stößt, nämlich die Minne, also die Liebe in ihrer tiefsten und umfassendsten Form. Aber was heißt es zu „minnen“? Welche Lebensform entspricht der Minne? Lässt sich solch ein Lieben auf Dauer stellen? Auch das sind ja keine ungewöhnlichen Fragen. Auf die eine oder andere Art stellen sie sich für jeden Menschen, der aufrecht, herzensklug und mit allen Sinnen leben will.
Ein Roman hat gattungsspezifisch den Anspruch, eine fiktionale Welt in ihrer Gesamtheit vorzustellen. Welche Welt begegnet uns in Deinem Roman? Was hast Du für Deine Leserinnen und Leser erfunden und auch vorgefunden?
Ich bin nicht gestartet mit dem Plan, einen Roman zu schreiben. Am Anfang stand vielmehr der Wunsch, etwas zu schreiben, das weder den Regeln des wissenschaftlichen Schreibens noch der religiösen Rede genügt, sondern allein literarischen. Dabei habe ich mir die Freiheit genommen, munter zwischen den Genres hin- und herzuhüpfen. So wechseln sich narrative mit essayistischen Passagen ab, Reiseberichte mit Zitaten und lyrischen Elementen. Ganz ähnlich übrigens wie in Mechthilds Buch – eine Parallele, die mir allerdings erst mitten im Schreibeprozess aufgegangen ist. Wie in vielen anderen zeitgenössischen Romanen auch, spielt die Unterscheidung in Fiktion, Nonfiktion oder Autofiktion jedenfalls nur eine untergeordnete Rolle.
Wie bist Du mit dem Problem umgegangen, dass Mechthild vor 800 Jahren gelebt hat und Du eine Frau des 21. Jahrhunderts bist? Also: Besteht nicht die Gefahr, Themen und Zusammenhänge der Gegenwart in eine Zeit hineinzutragen, die ganz anders war und in Wirklichkeit für uns kaum noch zugänglich ist?
Der bewusste Umgang mit diesem „garstigen Graben“ ist beim Schreiben für mich tatsächlich ein ganz wichtiger Aspekt gewesen. Wie nah kann ich einer historischen Figur kommen, von der nichts übriggeblieben ist als ein einziges – wenn auch sehr umfangreiches – Buch? Was verraten ihre Worte, ihre „Schreibe“ über sie? Ist das überhaupt eine legitime Art der Annäherung? Das sind ja letztlich Fragen, die uns aus der Bibelwissenschaft vertraut sind. Ich habe für mich einfach die Probe aufs Exempel gemacht. Ich habe „Das Fließende Licht der Gottheit“ immer und immer wieder gelesen und dann versucht, literarisch darauf zu reagieren. Zugleich war mir bei aller Einfühlung stets bewusst: So könnte es gewesen sein – so oder auch ganz anders.
Hat die Beschäftigung mit Mechthild bzw. das Schreiben dieses Buches auch Rückwirkungen auf Deine Arbeit als Direktorin an der Evangelischen Akademie Loccum? Und anders gefragt: Hat das Buch auch eine gesellschaftspolitische Dimension?
Nun, in erster Linie huldigt mein Buch der Freiheit der Kunst – und es ist traurig genug, dass selbst dieses Bekenntnis heutzutage schon gesellschaftspolitische Relevanz besitzt. Ich will damit nichts bezwecken und verfolge keinerlei politisches Programm. Aber die Figur Mechthild strahlt natürlich etwas aus. Sie war ein Freigeist und eine Wandererin zwischen den Welten – immer in der Gewissheit, dass Gott sich in der tiefsten Tiefe offenbart. Dieser Mut, diese Hingabe – das ist die politische Schlagseite der Mystik, die bis heute nichts von ihrer Inspiration eingebüßt hat.
Das Interview führte Florian Kühl, Leiter Öffentlichkeitsarbeit der EA Loccum
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Das „Buch Mechthild“ hat 230 Seiten, kostet gebunden im Schutzumschlag 22 Euro und ist bei Matthes&Seitz hier erhältlich oder im Buchhandel.
Am Donnerstag, 23.10.2025, 19:30 Uhr stellt Julia Koll im Literaturhaus St. Jakobi, Hildesheim ihr Buch vor und ist dabei zu Gast im NDR-Literatur-Podcast eat.READ.sleep.
Im Rahmen der Dialogreihe Spiritualität & Natur liest Julia Koll am Mittwoch, 26.11.2025, 19:00 Uhr aus ihrem Buch in der Kirche der Stille in Hannover-Bult.