In diesen Tagen wird das neue Programm der Akademie für das erste Halbjahr 2025 versandt. Hier finden Sie das Editorial zum Programm von Akademiedirektorin Julia Koll:
Liebe Freundinnen und Freunde
der Evangelischen Akademie Loccum,
für das Titelbild unseres neuen Halbjahresprogramms haben wir ein Experiment gewagt: Zum ersten Mal haben wir die Künstliche Intelligenz damit beauftragt. Sie sollte uns ein Motiv zum Thema „Demokratie“ malen. Ein paar Stichworte haben wir ihr geliefert: Parlament, Wahlurne, Demos, das Reichstagsgebäude – aber damit war es längst noch nicht getan. Die ersten Entwürfe nahmen sich reichlich düster aus: Lauter Männer in Anzügen, gedämpfte Farben, Fahnen und Fackelzüge statt bunter Protestkultur. Wir mussten der ach so begabten Technik auf die Sprünge helfen, bis ein Titelbild entstanden ist, das unseren Bildern von politischer Kultur hierzulande, aber auch unseren Werten und unseren Hoffnungen entspricht. Wir haben experimentiert und gelernt: Ohne menschliches Gespür geht es nicht.
Im Jahr der Bundestagswahl setzen wir einen thematischen Schwerpunkt und beschäftigen uns in vier Tagungsprojekten ganz explizit mit der Zukunft unserer rechtsstaatlich verfassten Demokratie. Wie ist sie zu schützen vor rechtsextremen Kräften, die sie in ihren Grundfesten zu destabilisieren suchen? Was stärkt und bestärkt Menschen darin, sich kommunalpolitisch zu engagieren? Und wie lassen sich politische Beteiligungsformate sinnvoll fortentwickeln?
Ohne menschliches Gespür geht es nicht – das gilt nicht nur für den Umgang mit KI, sondern auch für eine demokratische Gesellschaftskultur. Dass der freiheitliche Staat auf Voraussetzungen baut, die er selbst nicht zu garantieren in der Lage ist, ist seit über sechzig Jahren Bestandteil demokratiephilosophischer Lehre. In seinem berühmten Diktum hat Ernst-Wolfgang Böckenförde dabei nicht zuletzt auf die Bedeutung der „moralischen Substanz des Einzelnen“ hingewiesen. Was damit gemeint ist, war in den vergangenen Monaten auf vielen politischen Schauplätzen zu besichtigen. Wo es an Respekt und wechselseitigem Interesse, Geduld, Fingerspitzengefühl und Anstand mangelt, verkümmern politische Lebensformen. „Demokratie bedarf eines hörenden Herzens, sonst funktioniert sie nicht“ – so hat Hartmut Rosa in Anlehnung an seine Resonanztheorie formuliert. Was so viel heißt, wie: Die Gabe, einander zuzuhören, Meinungsverschiedenheiten und Ungewisses auszuhalten. Insbesondere die christlichen Kirchen verfügten über ein Reservoir an Geschichten, Praktiken und Räumen, in denen ein hörendes Herz eingeübt werden könne. Als einen solchen Raum verstehen wir auch die diskursive Atmosphäre, um die wir uns an der Evangelischen Akademie Loccum bemühen.
Noch ein Hinweis in eigener Sache: Im September haben wir zwei Mitglieder aus unserer Studienleitung verabschieden müssen. Dr. Joachim Lange, der in Loccum beinahe ein Vierteljahrhundert lang für den Arbeitsbereich Wirtschafts- und Sozialpolitik zuständig war, hat zum Wintersemester eine Professur an der Ev. Hochschule Darmstadt angenommen. Dr. Christian Brouwer, seit 2019 zuständig für Theologie und Ethik, ist gemeinsam mit seiner Ehefrau zum neuen Superintendent:innenpaar im Amtsbereich Hannover-Mitte gewählt worden. Auch an dieser Stelle: Herzliche Glückwünsche und großen Dank für viele, viele Jahre erfolgreicher Tätigkeit an der Evangelischen Akademie! Für unser Tagungsprogramm bedeutet dieser doppelte Abschied freilich, dass es für einige Monate etwas schmaler ausfallen wird.
Nichtsdestotrotz warten wir auch im ersten Halbjahr 2025 mit einer Fülle an relevanten Themen und reizvollen Tagungsdesigns auf. Ich lade Sie herzlich ein, sich auf den Weg nach Loccum zu machen – kommen Sie, diskutieren Sie mit!
Ihre Julia Koll, Akademiedirektorin
Akademiedirekorin Prof. Dr. Julia Koll zum neuen Halbjahresprogramm