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Wattebäuschchen auf den General: Der Kalte Krieg in Loccum

3. Folge der Anekdoten-Serie zur Geschichte der Akademie anlässlich ihres 80jährigen Jubiläums im Jahr 2026

Ein schwarz-weißes Foto, gefunden im Archiv: Ohne Beschriftung, ohne irgendeinen Hinweis, worum es sich handeln könnte. Da sitzt ein Generalmajor der Bundeswehr im Foyer der Akademie, neben ihm steht sein Diplomatenkoffer. Von der anderen Seite her greift ihn eine maskierte Person an: Sie wirft Wattebäuschchen auf den General. Die Maske zeigt den lachenden Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann von der CSU. Der General bleibt völlig gelassen, zündet sich gerade seine Pfeife an und schaut einen Betrachter, der anscheinend vor ihm steht, erwartungsvoll an. Leichtigkeit und hintergründige Bedrohlichkeit wirken in dieser Szenerie merkwürdig ausbalanciert. Worum ging es also?

Nachforschungen ergeben, dass es sich um ein Bild aus dem Jahr 1983 handelt. Bundeskanzler Helmut Kohl hat gerade sein erstes Kabinett gebildet. Die dritte Generation der RAF bedroht Deutschland von innen mit Mordanschlägen und Sabotageakten. Außen- und sicherheitspolitisch eskaliert der Kalte Krieg. Der NATO-Doppelbeschluss führt im Herbst 1983 zur Stationierung von atomar bestückten Mittelstreckenraketen in Deutschland. In Westeuropa bildet sich dagegen die Friedensbewegung mit riesigen Protestveranstaltungen heraus.

Unser Foto entsteht Anfang Juni 1983: Bei dem General handelte es sich um Henning von Ondarza, Kommandeur der 1. Panzerdivision in Hannover. Der spätere Inspekteur des Heeres und NATO-Oberbefehlshaber in Zentraleuropa war gerade als Militärattaché aus Washington zurückgekehrt. Was treibt ihn sogleich nach Loccum? Er nimmt an einem Tagungsformat teil, das hochrangiger gar nicht besetzt sein kann. Zu den „Deutsch-amerikanischen Konsultationen über Aufgaben und Probleme der Friedenssicherung“ kommen: der amerikanische Botschafter, ein Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus, Leiter der amerikanischen Delegation in Abrüstungsverhandlungen, von deutscher Seite der Staatsminister im Auswärtigen Amt, von sowjetischer Seite der Sprecher der Botschaft und stellvertretende Chefredakteur der Prawda, zahlreiche hohe Kirchenvertreter aus den USA, der Sowjetunion und aus Westdeutschland sowie der DDR.

Auf der Tagung herrsche „ein gespanntes Interesse … auf allen Seiten“, schreibt der damalige Akademiedirektor Hans May. Henning von Ondarza bringt sich als Panzergeneral mit einem erstaunlichen Vorschlag ein. Neben der Bekräftigung des NATO-Doppelbeschlusses schlägt er vor „zu überlegen(,) wie Panzerkräfte abgebaut werden können“, um sie durch „leichte Verbände“ „für reine Verteidigungsaufgaben“ zu ersetzen. Sein Ziel: Entspannung und vertrauensbildende Maßnahmen durch Änderungen in der konventionellen Waffentechnologie und ihrem strategischen Einsatz.

Wenige Tage nach dieser denkwürdigen Veranstaltung in Loccum, die beide Seiten auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges zusammenbringt und auf persönlicher Ebene Austausch und Vertrauensbildung ermöglicht, startet in Hannover der 20. Deutsche Evangelische Kirchentag. Er ist stark von der Friedensbewegung und ihren Zielen bestimmt. Insofern verwundert es nicht, wenn die Akademie das Thema „Sicherheit und Frieden“ im Januar 1984 erneut mit einer Tagung zu bearbeiten plant.
Doch die empfindliche Balance, die bei den „Deutsch-amerikanischen Konsultationen“ noch gehalten hat, ist nun bereits gestört. Die Positionen der Friedensbewegung sollen auf der Tagung durch den Referenten Alfred Mechtersheimer vorgetragen werden. Dieser hält den Wehrdienst für „verfassungswidrig“. Das lässt sich Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner nicht bieten und verbietet einem General, der auf der Tagung referieren sollte, die Teilnahme. Die Akademie unternimmt mehrere Vermittlungsversuche, will Alfred Mechtersheimer aber auch nicht ausladen. Am Ende muss die Tagung abgesagt werden. Die Absage wiederum führt zu einem lebhaften Presseecho und Kontroversen in der deutschen Medienlandschaft.

General Henning von Ondarza aber hat sich im Kalten Krieg und nach der Wende einen derart guten Ruf in den dann ehemaligen Ostblockstaaten erarbeitet, dass er nach seiner Pensionierung noch viele Jahre die polnische und georgische Regierung in Militärfragen beriet.

Quellen:

  • Wege zum Frieden, Vertrauen bilden – Brücken schlagen, 3. deutsch-amerikanische Konsultation über Aufgaben und Probleme der Friedenssicherung vom 2. bis 5. Juni 1983 in der Evangelischen Akademie Loccum. In: Loccumer Protokolle 19/83.
  • Die Zukunft von Sicherheit und Frieden. In: Forum Loccum, 1/1984, Rehburg-Loccum 1984, S. 13-17.