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Der digitale Theaterbesuch in Corona-Zeiten

Ein Beitrag von Studienleiter Albert Drews

Ich liebe es, ins Theater zu gehen. Sehr gerne auch in die Schaubühne am Lehniner Platz, wenn ich in meiner Heimatstadt Berlin bin. Jetzt, zu Corona-Zeiten, sind die Theater und alle anderen Kultureinrichtungen geschlossen. Aber es gibt digitale Abhilfe: Die Schaubühne war eines der ersten Häuser, das einen Online-Ersatz-Spielplan erstellt hat, wie ihn mittlerweile fast alle Theater haben. Es eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten. In den letzten Jahren war es immer mehr zum Problem geworden, für die bei Touristen und einheimischen Kulturhungrigen beliebte Schaubühne an Karten zu gelangen. Wenn man nicht in Berlin wohnte und daher zeitlich nicht so flexibel war, erforderte das schnelles Handeln, möglichst am ersten Tag der Spielplanveröffentlichung eines Monats, sonst ging man leer aus. Aber nun, online, ist alles verfügbar. Der Dauerbrenner „Hamlet“ mit dem großartigen Lars Eidinger in der Hauptrolle, „Professor Bernhardi“ mit dem charismatischen Jörg Hartmann oder „Die Rückkehr nach Reims“ mit der unvergleichlichen Nina Hoss – alles kann man nun am heimischen Computer sehen. Dazu die legendären Inszenierungen von Peter Stein, Meilensteine der Theatergeschichte. All das könnte man sich ins Wohnzimmer streamen.

Könnte man. Die Wahrheit aber ist: Ich habe bisher kein einziges Stück des Online-Spielplans gesehen.

Ich habe einfach keine Lust darauf. Warum? „Theater findet in einem Augenblick statt, in dem Darsteller und Publikum sich ein Raum teilen“, erklärt der bisherige Intendant des Schauspiels Dortmund, Kay Voges, in der Frankfurter Rundschau. Genau diese Einheit des Erlebens in Raum und Zeit ist es wohl, die den Unterschied macht. Vor dem Bildschirm, die Inszenierung aus dem Ersatz-Spielplan betrachtend, wird die Einheit zerstört, der Funke springt nicht über, der ästhetische Genuss bleibt aus. Auf das ganze Drumherum eines gelungen Theaterabends, der vorausgehende Bummel über den Kurfürstendamm, der Aperitif an der Bar, das Beobachten des Theaterpublikums – schließlich vermischen sich hier so schön die alteingesessene Westberliner Bohème und die internationalen hippen Kulturtouristen – muss man ohnehin verzichten.

Digitalisierung im Kulturbereich ist dann sinnvoll, wenn daraus ein Mehrwert entsteht, und nicht einfach nur die analoge Welt digital nachgebildet wird. Das war das Fazit der Tagung „On oder Off – wie Kulturinstitutionen den digitalen Wandel gestalten“, die wir im Herbst 2017 in Kooperation mit dem Deutschen Bibliotheksverband veranstaltet haben. Es entsteht aber kein Mehrwert, wenn Inszenierungen, die für das physische Erleben in einem Theater entwickelt werden, nun ins Netz gestellt werden. Im Gegenteil: Ein solches Angebot ist eindeutig ein „Weniger“. Es sind die Stücke eines Ersatzspielplans mit Betonung auf „Ersatz“. Das bedeutet nicht, dass die Digitalisierung bei den Theatern außen vor bleiben muss. Gerade der zitierte Kay Voges steht für eine Erweiterung des Feldes, für ein Hineinholen des Digitalen in den Raum des Theaters. In Dortmund war er damit äußerst erfolgreich. Aber dabei handelt es sich um etwas grundsätzlich Anderes als um das Abfilmen und die anschließende digitale Bereitstellung eines eigentlich analogen Geschehens.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Dies ist keine Kritik an der Schaubühne oder an anderen Theatern. Auch ein „Weniger“ ist besser als nichts. Die Inszenierungen der Ersatzspielpläne waren nie für den digitalen Raum gedacht. Sie nun im Netz zu zeigen, ist eine gute Möglichkeit, mit dem Publikum im Kontakt zu bleiben und den Umständen zu trotzen, indem man sagt: „Wir sind noch da!“ Es handelt sich um einen Akt der Notwehr gegen den fiesen Virus. Generell ist das Internet hier ein Segen, um Brücken durch finstere Corona-Zeiten zu bauen.

Denn die Zeiten sind für den Kulturbetrieb mehr als finster. Die Corona-Krise stellt Kulturinstitutionen und Künstler*innen vor existentielle Herausforderungen, von denen hier zu einem anderen Zeitpunkt noch die Rede sein muss. Aktuell stehen da Betrachtungen zur Digitalisierung eindeutig im Hintergrund. Irgendwann aber wird man sich ihnen hoffentlich wieder widmen können, und dann werden die Erfahrungen und Beobachtungen aus der Corona-Zeit wertvoll sein.

In unserem Corona Blog schildern Studienleiter*innen der Akademie und der Akademie als Referent*innen verbundene Persönlichkeiten ihre Wahrnehmungen zur Coronakrise. Aus den verschiedenen interdisziplinären Arbeitsbereichen entsteht damit eine multiperspektivische Sicht, die in der Krise Orientierung bieten kann. Gleichzeitig wird deutlich, wie die Akademie ihre Arbeit auf diese Ausnahmesituation anpasst.

Dr. Albert Drews ist Studienleiter für Kulturpolitik, Politische Kultur, Medien