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Musikdirektor: Kirchenlieder müssen sich weiterentwickeln

Bericht und Interview des epd aus der Kirchenlied-Tagung in Loccum

Aus der Tagung Singbar oder nicht? Die Wirklichkeit des Neuen Geistlichen Liedes -Ökumenisches Kirchenliedseminar vom 6. bis 9. März 2023 ist ein Bericht und ein Interview von Lothar Veit für den Evangelischen Pressedienst hervorgegangen. Sie können den Bericht und das Interview hier lesen:

Musikdirektor: Kirchenlieder müssen sich weiterentwickeln

Loccum/Gütersloh (epd). Der Kirchenmusikdirektor Matthias Nagel aus Gütersloh hat Musiker und Komponisten ermutigt, neue Lieder im Pop- und Gospelsound für die Kirche zu schaffen. „Wenn die Hymnologie sich nicht weiterentwickeln würde, würde sie einen Riesen-Fehler machen“, sagte der Musikprofessor dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Rande einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum bei Nienburg. Die neuen Lieder sollten auf die Herausforderungen der Gegenwart reagieren.

„Meiner Meinung wären die Themen aus den 1980er-Jahren wieder dran: Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung“, sagte Nagel (65). „Ich finde, dass wir zurzeit so große gesellschaftliche Probleme haben, dass die Hymnologie diese noch stärker aufgreifen müsste.“ Nagel war von 2011 bis 2021 Dozent für Popularmusik an der Hochschule für Kirchenmusik in Herford und Beauftragter für Popularmusik der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Die in manchen Kirchenkreisen verbreitete Skepsis gegenüber den neuen Songs und die Sorge vor einer Verflachung der kirchlichen Musik hat Nagel nie verstanden. „Ich kann diese Furcht nicht nachvollziehen und habe sie selbst nie gehabt“, sagt er. „Wenn ein Lied zu flach ist, wird es nicht lange gesungen werden. Oder wenn es flach ist und trotzdem gesungen wird, wird das seinen Grund haben.“ Das habe es auch bei klassischen Liedern schon gegeben: „Das Lied ‚Stille Nacht‘ zum Beispiel ist vielleicht nicht flach, aber doch recht einseitig in seiner Bildsprache. Trotzdem wird es gern gesungen.“

Nagel wünscht sich in der Kirche eine möglichst große Vielfalt an Musik. „Das kann mal Gregorianik sein, aber auch mal Rock, Pop, Jazz und das Neue Geistliche Lied.“ Die Tagung „Singbar oder nicht?“ an der Evangelischen Akademie Loccum läuft bis zum Donnerstag.

 

„Wenn ein Lied zu flach ist, wird es nicht lange gesungen“

Kirchenmusikdirektor Matthias Nagel über neue geistliche Lieder

Loccum/Gütersloh (epd). Mit neuen geistlichen Lieder im Pop- und Gospel-Sound wollen engagierte Musiker Schwung in die Kirchen bringen – und das schon seit sechs Jahrzehnten. Doch obwohl es immer mehr Pop-Kantorinnen und Pop-Kantoren gibt, stößt der neue Stil bei manchen Kollegen immer noch auf hartnäckige Kritik. Die Songs mit Gitarre, Schlagzeug, Bass und E-Piano seien zu flach, heißt es dann. Kirchenmusikdirektor Matthias Nagel hat das nie verstanden. Nagel (65) war seit 2011 Professor für Popularmusik an der Hochschule für Kirchenmusik Herford/Witten und Beauftragter für Popularmusik der Evangelischen Kirche von Westfalen. Seit 2021 teilt er sich mit einer Kollegin das Kreiskantorat in Gütersloh und fördert dort klassische Musik genauso wie neue Songs. Lothar Veit hat ihn am Rande einer Tagung an der Evangelischen Akademie Loccum bei Nienburg befragt. Die Tagung „Singbar oder nicht?“ läuft bis zum Donnerstag.

epd: Herr Nagel, was ist neu am neuen geistlichen Lied?

Matthias Nagel: Inhalt und musikalische Struktur. Neu heißt, dass man auf die Herausforderungen der jeweiligen Gegenwart reagieren sollte. Wenn die Hymnologie sich nicht weiterentwickeln würde, würde sie einen Riesen-Fehler machen. Allein in den 60 Jahren, in denen der Begriff Neues Geistliches Lied existiert, habe ich schon viele verschiedene Phasen erlebt – alle waren jeweils neu.

epd: Es gibt also auch schon alte Neue Geistliche Lieder.

Nagel: Ich nenne das gern die erste Generation. Bei den Liedern von Komponisten wie Rolf Schweizer zum Beispiel gab es auch schon mal einen gezupften Kontrabass, aber noch keine durchgängigen Rhythmus-Pattern von Gitarre oder Schlagzeug.

epd: Um welche Themen geht es aktuell in den neuen Liedern?

Nagel: Ich erlebe, dass viele typische Lobpreis-Themen auch in die Texte von Neuen Geistlichen Liedern einfließen. Gut so. Aber ich finde auch, dass wir zurzeit so große gesellschaftliche Probleme haben, dass die Hymnologie diese noch stärker aufgreifen müsste. Meiner Meinung wären die Themen aus den 1980er-Jahren wieder dran: Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung.

epd: Viele befürchten bei neuen Liedern eine „Verflachung des künstlerischen und theologischen Anspruchs“. Was sagen Sie dazu?

Nagel: Ich kann diese Furcht nicht nachvollziehen und habe sie selbst nie gehabt. Wenn ein Lied zu flach ist, wird es nicht lange gesungen werden. Oder wenn es flach ist und trotzdem gesungen wird, wird das seinen Grund haben. Das haben wir in der klassischen Hymnologie auch schon gehabt. „Stille Nacht“ zum Beispiel ist vielleicht nicht flach, aber doch recht einseitig in seiner Bildsprache. Trotzdem wird es gern gesungen.

epd: Woher kommt der Vorwurf? Aus der klassischen Kirchenmusik?

Nagel: Die klassischen Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker sind ja gewissermaßen Kinder ihrer Ausbildungsinstitute, und an vielen Hochschulen wurde die Kritik am Neuen Geistlichen Lied durchaus gelehrt. Die Standardvorwürfe waren: Die sind ja nicht ohne Begleitung singbar, also müssen sie schlecht sein. Oder: Die haben ja nur drei Akkorde und sind nur zu kommerziellen Zwecken entstanden. Oder: Die Texte sind zu banal.

epd: Umgekehrt könnte man einwenden, viele Gesangbuchlieder aus vorigen Jahrhunderten sind in ihrer Sprache nicht mehr verständlich. Wie sollte man damit umgehen?

Nagel: Ich würde empfehlen, diese erstmal zu sichten, bevor man sich von ihnen für immer verabschiedet. Es gibt Lieder, die wir als zu schwülstig oder zu frömmelnd bezeichnen würden. Aber es gibt auch welche, die vielleicht aufgrund ihrer Sprache alt und überkommen wirken, bei denen es sich aber lohnt, sie wieder zu Gehör zu bringen. Ich schlage vor, dass man einfach mal ein Gemeindeseminar macht und bei Kaffee und Kuchen 30 alte Lieder singt, dann Rückmeldebögen austeilt und darüber ins Gespräch kommt.

epd: Kann Musik ein Grund sein, in die Kirche zu kommen – oder ihr fernzubleiben?

Nagel: Mir hat neulich ein Theologe erzählt, dass viele Menschen wegen der Musik in die Kirche kommen. Es gibt aber auch Gemeindeglieder, die sagen: Ich kann die Choräle nicht mitsingen und die neuen Lieder auch nicht! Irgendwas stimmt mit der Begleitung nicht, da gehe ich nicht mehr hin. Es gibt also beides und man müsste im Einzelfall schauen, woran es liegt. Das ist oftmals unabhängig von der Frage, ob Choräle oder neue Lieder gesungen werden.

epd: Welche Musik möchten Sie selbst in der Kirche hören?

Nagel: Ich habe einen vielfältigen Musikgeschmack und möchte meinen Horizont sehr weit fassen dürfen. Das kann mal Gregorianik sein, aber auch mal Rock, Pop, Jazz und das Neue Geistliche Lied.