Zum Umgang mit Gewalt gegen Pflegekräfte
Loccumer Pflegeethik-Tagung für angehende Altenpflegekräfte
20.03.2019 - 22.03.2019
Selten wird wahrgenommen, dass auch Pflegekräfte von Übergriffen in der Altenpflege betroffen sind. Die Ursachen hierfür können in einer Erkrankung der Pflegebedürftigen oder einem angespannten Klima in der Einrichtung liegen. Ausgehend von Alltagssituationen analysieren die Teilnehmenden das Phänomen, auch vor dem Hintergrund organisationsethischer Gesichtspunkte. Interaktiv entwickeln sie Handlungsmöglichkeiten und diskutieren mit Experten Voraussetzungen für eine gute Altenpflegepraxis.
Im Rahmen der Loccumer Pflegeethik-Tagung führte der Evangelische Pressedienst ein Interview zum Thema mit der Gesundheitswissenschaftlerin Beate Blättner durch.
Pflegekräfte in der Altenhilfe erleben oft Gewalt
Loccum/Fulda (epd). Übergriffe, Aggressionen und Gewalt gegen Pflegekräfte in der Altenhilfe kommen nach Aussage der Gesundheitswissenschaftlerin Beate Blättner oft vor, werden aber selten thematisiert. „Unseren Forschungen zufolge erlebten in den vergangenen zwölf Monaten 89 bis 94 Prozent der Pflege- und Betreuungskräfte in der stationären Pflege solche Angriffe“, sagte die Professorin des Fachbereichs Pflege und Gesundheit der Hochschule Fulda dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Die Fakultät ist von diesem Mittwoch an auf einer dreitägigen pflegeethischen Tagung der evangelischen Akademie im niedersächsischen Loccum vertreten. Dabei geht es um den Umgang mit Gewalt gegen Pflegekräfte. Das sei ein vielschichtiges Phänomen, bei dem Pflegekräfte sowohl Täter wie Opfer sein könnten, sagte Blättner.
„Täter sind sie manchmal, weil sie sich in den Anforderungen ihres Berufsalltages nicht anders zu helfen wissen und nicht zwingend, weil sie alten Menschen schaden wollen.“ Als Opfer erlebten sie oft Angriffe, weil sich pflegebedürftige Menschen gegen Dinge wehrten, die sie nicht wollten oder nicht verstünden. „Pflegekräfte selbst bagatellisieren teilweise diese Erfahrungen mit dem Argument, es sei ja keine Absicht gewesen. Entsprechend wird tatsächlich wohl immer noch zu wenig darüber gesprochen, vor allem zu wenig präventiv gehandelt.“
Bei den Übergriffen handele es sich häufig um das Gefühl, herumkommandiert zu werden, aber auch um Anschreien, Beschimpfungen und Beleidigungen, Beschuldigungen, Einschüchterungen und Bedrohungen, erläuterte die Wissenschaftlerin. „Auch Spucken, Kratzen, Kneifen sind nicht selten.“ Es werde überdies geschlagen oder getreten, manchmal mit der Faust oder einem anderen Gegenstand gedroht. Deutlich seltener würden Pflegekräfte grob angefasst, geschubst, beworfen, absichtlich mit Rollstuhl oder Rollator gerammt oder an den Haaren gezogen – „es kommt aber auch vor“.
„Mehr als vier von zehn Pflegekräften wurden mit einer sexuellen Äußerung oder Handlung konfrontiert“, ergänzte die Professorin. Die Gewalt habe Folgen: „Pflegekräfte werden unsicher, neigen eher zu Unfällen, werden selbst leichter gewalttätig oder auf die Dauer einfach unzufrieden mit ihrem Beruf.“
In hessischen Einrichtungen der Altenpflege seien mittlerweile Gewaltschutzkonzepte Vorschrift. „Aber dummerweise ist Papier geduldig und solche Konzepte sind längst nicht überall gelebte Praxis.“ Wichtig sei es, Strategien gemeinsam mit Pflege- und Betreuungskonzepten zu entwickeln.
Arbeitsbedingungen, vor allem der Zeitdruck durch Personalmangel, müssten als mögliche Ursache ins Visier genommen werden. Präventiv könnten Maßnahmen wie gleichgeschlechtliche Pflege, also die Pflege durch Personen des gleichen Geschlechts, Pflege durch zwei Personen, die das Zimmer gleichzeitig betreten, oder Deeskalationstrainings für Pflegekräfte weiterhelfen. Blättner: „Manchmal reicht es auch schon, mehr darüber nachzudenken, dass wir in der Pflege ständig Intimgrenzen anderer Menschen überschreiten. Das geht auch anders, zumindest wenn mehr Zeit für bessere Pflege da ist.“
epd-Gespräch: Dieter Sell
Dr. Susanne Benzler, Ev. Akademie Loccum
Wo kommt es in der Altenpflege zu Übergriffen, Aggression und Gewalt gegenüber Pflegekräften?
Was sind mögliche Ursachen solcher Übergriffe und Gewalt?
Wie wird im beruflichen Alltag mit entsprechenden Vorfällen umgegangen?
Erfahrungsaustausch der Teilnehmenden
Moderation: Dr. Susanne Benzler
Worum geht es, wenn wir von Gewalt in der Pflege sprechen? Wie häufig kommt Gewalt in der Pflege vor? Was wissen wir insbesondere von Übergriffen gegenüber Pflegekräften? Welche Ursachen und Folgen hat Gewalt?
Stefanie Freytag, M.Sc. Public Health, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „PEKo – Partizipative Entwicklung von Konzepten zur Prävention von Gewalt in der stationären Pflege“, Hochschule Fulda
mit Dr. Susanne Benzler
(selbst organisiert)
Was können Pflegekräfte selbst tun? Welche Ursachen und Beweggründe haben aggressive Verhaltensweisen von Pflegebedürftigen? Wie entwickeln sich Aggressionen und welche Möglichkeiten der verbalen Deeskalation haben die Pflegekräfte? Welche Haltungen der Fachkräfte sind nötig und hilfreich? Wie kann schon die Entstehung von Aggressionen vermindert oder verhindert werden?
Parallele Workshops mit
• Uwe Pester und
• Christa Dauber,
Institut ProDeMa (Institut für Professionelles Deeskalationsmanagement), Kuchen bei Göppingen
Die Rolle der Berufsgenossenschaft BGW
Welche Aufgaben hat die Berufsgenossenschaft bei Gewalt und Aggression in Betreuungsberufen? Was geschieht bei Vorfällen? Wie kann die Berufsgenossenschaft präventiv tätig werden?
Thomas Hoffmann, Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Bezirksstelle Hannover
(selbst organisiert)
Dr. Michael Coors, Zentrum für Gesundheitsethik, Hannover
Wer muss was dagegen tun?
Arbeit in kleinen Arbeitsgruppen und Austausch
mit Dr. Susanne Benzler
Welche Veränderungen sind nötig und möglich, um eine weitgehend gewaltfreie Pflege möglich zu machen?
Ulrike Fahlberg, Bereichsleitung Altenhilfe, Bethel im Norden; Hannover
Thies Lippels, Leitung Gerontopsychiatrisches Pflegeheim Anna-Meyberg-Haus, Hannover
Ricarda Möller, Referentin für Junge Pflege, Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), Hannover