Überlegungen zum zukünftigen Umgang mit automatisierten Waffensystemen
27.01.2020 - 29.01.2020
Autonome Waffen, die weitgehend selbstständig im Kampfgeschehen zu Land, zu Wasser und in der Luft agieren können, sind längst keine Science-Fiction mehr. Wie das autonome Fahren den Straßenverkehr revolutioniert, so gelten autonome Waffen als wahrscheinliches Szenario für zukünftige militärische Auseinandersetzungen. Die mit dieser Entwicklung einhergehenden Eskalationsgefahren und das Risiko neuartiger Rüstungswettläufe macht es notwendig über internationale Regulierungen bereits jetzt nachzudenken. Wie kann Rüstungskontrolle von autonomen Waffen konkret beginnen und gelingen?
Wie kann Rüstungskontrolle in diesem Bereich konkret beginnen und gelingen? Antworten und Empfehlungen auf diese Fragen haben 70 Teilnehmende einer internationalen Tagung in Loccum vom 27. bis 29. Januar gegeben – unter Ihnen maßgebliche Expert*innen aus den Bereichen Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Diplomatie, Wirtschaft, Völkerrecht und Militär.
Dieser Loccumer Report fasst in aller Kürze die wichtigsten Ergebnisse der Tagung zusammen. Die hier dargelegten Perspektiven spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller teilnehmenden Personen und Institutionen wieder.
Schneller, weiter, riskanter – Worin begründet sich das militärische Interesse an autonomen Waffensystemen?
Insgesamt befinden sich autonome Waffensysteme derzeit noch im Entwicklungsstadium. Es existieren bisher wenige Modelle, die heute bereits militärisch eingesetzt werden – darunter bspw. die Anti-Radardrohne „harpy“. Das militärische Interesse an diesen Systemen ist jedoch groß. Drei technische Eigenschaften dieser Waffensysteme sind dafür besonders ausschlaggeben. Erstens verfügen Roboter – im Gegensatz zum Menschen – über die Fähigkeit, auch bei großen Informationsmengen schnelle Entscheidungen zu treffen. Der Einsatz von autonomen Waffensystemen würde die Geschwindigkeit von Militäroperationen somit deutlich erhöhen. Dies ist auf dem Schlachtfeld der Zukunft ein klarer Vorteil. Zweitens verfügen autonome Waffensysteme über einen entscheidenden Reichweitenvorteil. Zum einen können sie in Bereichen – beispielsweise in der Tiefsee, in großen Höhen oder im Welt- und Cyberraum – agieren, die für Menschen nicht oder kaum zugänglich sind. Da autonome Systeme keine Fernsteuerung und Funkverbindung benötigen, die in Kriegssituationen potenziell riskant und störungsanfällig ist, können sie zum anderen sehr tief im feindlichen Gebiet operieren und dadurch ihren Aktionsradius zusätzlich erhöhen. Drittens reduziert der Einsatz von autonomen Waffen eigene Truppenverluste insbesondere bei riskanten Militäraktionen.
Autonome Waffensysteme = eine tiefgreifende militärtechnologische Revolution
Aufgrund der erwarteten militärischen Vorteile wetteifern derzeit eine Reihe von Staaten – allen voran die USA und China – um Forschungs- und Entwicklungsvorsprünge. Daher geht die Mehrheit der internationalen Expert*innen, die auf der Loccumer Tagung zusammenkamen, mit Blick auf diese Vorgänge davon aus, dass wir am Anfang einer umfassenden militärtechnologischen Revolution stehen, die das Kriegsgeschehen der Zukunft tiefgehend verändern wird. Einige zogen sogar den – zugegebener maßen sehr gewagten – Vergleich zur Einführung des Schießpulvers heran.
„Flash Wars“ und Rüstungswettläufe – Warum autonome Waffensysteme sicherheitspolitische Instabilität bedeuten könnten?
Militärtechnologische Revolutionen bedeuten nicht notwendigerweise mehr Instabilität für die globalen Machtbeziehungen. Eine ganze Reihe von Expert*innen befürchten jedoch, dass dies bei autonomen Waffen der Fall sein dürfte. An den Finanzmärkten gibt es beim automatisierten Hochfrequenzhandel die Gefahr von sog. „flash crashs“ – starke Kurseinbrüche von wenigen Minuten bei denen in Kürze Aktienwerte in Milliardenhöhe vernichtet werden. Vergleichbare Vorgänge könnten auch in den internationalen Beziehungen auftreten, sog. „flash wars“, wenn Militärtechnologie weitreichend autonomisiert werden würde. Zudem könnte es im Bereich von autonomen Waffensystemen zu grassierenden Rüstungswettläufen kommen. In ersten Ansätzen zeichnen sich diese Entwicklungen bereits ab – so die Meinung der Expert*innen auf der Loccumer Tagung.
„Dual use“ – Neue Proliferationsgefahren und asymmetrische Bedrohungen
Die fortschreitende Etablierung von autonomen Waffensystemen könnte auch zu verstärkten asymmetrischen Bedrohungen und einer neuen Proliferationsproblematik führen. Die Technologie für die Herstellung und den Einsatz autonomer Waffen sowie das einschlägige know-how kommt zu großen Teilen aus dem zivilen Bereich und der privaten Tech-Industrie, ist nicht exklusiv dem Militär vorbehalten und kann daher in erheblichen Maße über den freien Markt bezogen werden. Diese Konstellation – die von Expert*innen als „dual use“ Problematik bezeichnet wird – birgt die Gefahr, dass auch nicht-staatliche Akteure wie bspw. Terrorgruppen in die Lage versetzt werden, autonome Waffen einzusetzen.
Schwieriges Vorhaben – der Versuch der weltweiten Ächtung von autonomen Waffensystemen
Im Koalitionsvertrag verpflichtet sich die Bundesregierung darauf, autonome Waffensysteme weltweit zu ächten. Mit Blick auf das gesteigerte Interesse, das vor allem die großen Militärmächte an diesen Systemen haben, halten es die meisten Expert*innen jedoch für unwahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit ein völkerrechtlicher Vertrag zur Regulierung autonomer Waffensysteme im Rahmen der UN-Waffenkonvention verabschiedet wird. Im Herbst 2019 hat sich die Genfer UN-Abrüstungskonferenz allerdings auf elf Leitprinzipien für den Umgang mit autonomen Waffen geeinigt. Bei der nächsten großen Konferenz in diesem Rahmen, die im November 2021 stattfinden wird, sollen diese Leitsätze konkretisiert werden. Die Bundesregierung will die Zeit bis 2021 nutzen, um Bausteine zu entwickeln, die später in einen solchen Vertrag einfließen könnten. Die abstrakten Prinzipien sollen zu einem rechtlichen und operativen Rahmenwerk weiterentwickelt werden. Als besonders große Schwierigkeit erweist sich dabei die Einigung auf eine verbindliche Definition von autonomen Waffensystemen. Diese müsste letztendlich an der sog. Mensch-Maschine-Beziehung ansetzten und die Frage beantworten, wie viel menschliche Kontrolle bei der Steuerung von autonomen Waffensystemen für die Mitglieder der UN-Waffenkonvention akzeptierbar ist.
Wie könnte Rüstungskontrolle autonomer Waffensysteme aussehen? Was sind die Schwierigkeiten?
Auch wenn ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag vorerst nicht erreicht werden kann, sei es dennoch wichtig, Ideen zu entwickeln, wie Rüstungskontrolle in diesem neuen militärtechnologischen Feld angewendet und adaptiert werden könne – so die Meinung der Expert*innen auf der Loccumer Tagung. Autonome Waffensysteme sind für die klassische Rüstungskontrolle allerdings herausfordern. Beispielsweise würden Rüstungskontrollbemühungen dadurch erschwert, dass es den meisten Systemen, die bisher existieren, von außen nicht anzusehen ist, ob sie nun tatsächlich autonom agieren oder lediglich ferngesteuert werden. Zudem spielt bei der Entwicklung von autonomen Waffensystemen die privatwirtschaftliche Tech-Industrie eine gewichtige Rolle weswegen zukünftige Regulierungsversuche nicht in herkömmlicher Weise ausschließlich staatliche Akteure einbinden können, sondern neue, inklusivere Formate entwickeln müssten. Abstrakt gesprochen erfordert die Rüstungskontrolle von autonomen Waffensystemen also eine Abkehr vom klassischen quantitativen Ansatz bei dem vorwiegend die Anzahl klar definierter Waffensysteme überwacht wird hin zu einem flexibleren, qualitativen Ansatz bei dem die Leistungsfähigkeit von bestimmten Funktionen in den Mittelpunkt gerückt wird.
Dr. Thomas Müller-Färber, Ev. Akademie Loccum
Dr. Marcel Dickow, Leiter, Forschungsgruppe Sicherheitspolitik, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Leiter des “International Panel on the Regulation of Autonomous Weapons“ (iPRAW), Berlin
Teil I: Technologische Einflussfaktoren. Wie beeinflusst der technologische Fortschritt in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Robotik und Sensorik die zukünftige Entwicklung von autonomen Waffen?
Dr. Moa Peldan Carlsson, Emerging Military and Security Technologies Project, Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), Stockholm
Prof. Dr. Frank Ole Flemisch, Institutsleiter, Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE), Wachtenberg
Teil II: Militärische Anforderungen und Bedarfe. Wie wird die zukünftige Kriegsführung die Entwicklung von autonomen Waffen beeinflussen?
Brigadegeneral Gerald Funke, Unterabteilungsleiter Planung I im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), Berlin
Dr. Jean-Christophe Noël, Associate Research Fellow, Security Studies Center, Institut Français Des Relations Internationales, (IFRI) Paris
Welche Auswirkungen sind zu erwarten auf …
… die strategische Stabilität und das internationale Mächtegleichgewicht?
Dr. Frank Sauer, Senior Researcher, Bundeswehr Universität München
... das Völkerrecht?
Dr. Henning Lahmann, Senior Reseracher, Digital Society Institute (DSI), ESMT (European School of Management and Technology), Berlin
… die Friedensethik?
Ph.D. Peter Asaro, Associate Professor at the School of Media Studies at The New School, New York Co-Founder and Vice-Chair of the International Committee for Robot Arms Control (ICRAC), New York
Botschafter Ljupčo Jivan Gjorgjinski, Vorsitzender der Regierungsexpertengruppen zu Letalen autonomen Waffensystemen, UNO, Convention on Certain Conventional Weapons (CCW), Geneva*
Mary Wareham, Koordinatorin, Campaign to Stop Killer Robots, Washington D.C.
Anja Dahlmann, International Security Research Division, German Institute for International and Security Affairs (SWP), Berlin
Einwürfe aus der Perspektive …
… des Biowaffenübereinkommens
Elisande Nexon, Senior Researcher, Fondation Pour La Recherche Stratégique (FRS), Paris
… der konventionellen Rüstungskontrolle
Oberst a. D. Wolfgang Richter, Forschungsgruppe Sicherheitspolitik, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin
Ideen-Speeddating: Kurze Vorstellung und Diskussion von vier zentralen Bausteinen für zukünftige Regulierungsbemühungen
REGULATIONSPRINZIP: Wie lässt sich menschliche Kontrolle von LAWS operationalisieren?
Impuls von: Daniel Amoroso, Professor of International Law, Università di Cagliari
Kommentierung durch: Thea Riebe, Researcher, Technische Universität (TU) Darmstadt
TRANSPARENZ: Wie lässt sich Informationsaustausch und Vertrauensbildung organisieren?
Impuls von: Jürgen Altmann, Lecturer/Researcher, Department of Physics at Technische Universität Dortmund, Co-Founder of the German Research Association for Science, Disarmament and International Security (FONAS) and of International Committee for Robot Arms Control (ICRAC), Dortmund
Kommentierung durch: Olaf Theiler, Head, Future Analysis Branch, Bundeswehr Planning Office, Berlin
OFFENHEIT UND INKLUSION: Wie lassen sich wichtige Stakeholder integrieren?
Impuls von: Maaike Verbruggen, Researcher, International Security, Institute for European Studies, Vrije Universiteit Brussel
Kommentierung durch: Bernhard Koch, Deputy Director, Institute for Theology and Peace (ithf), Hamburg
PROLIFERATIONSPRÄVENTION: Wie kann Exportkontrolle sichergestellt werden?
Impuls von: Kolja Brockmann, Researcher, SIPRI Dual Use and Arms Trade Control Progamme, Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI)
Kommentierung durch: Florian Keisinger, Airbus Defence and Space, Berlin
Jürgen Altmann, Lecturer/Researcher, Department of Physics at Technische Universität Dortmund, Co-Founder of the German Research Association for Science, Disarmament and International Security (FONAS) and of International Committee for Robot Arms Control (ICRAC), Dortmund
Daniel Amoroso, Professor of International Law, Università di Cagliari
Kolja Brockmann, Researcher, SIPRI Dual Use and Arms Trade Control Progamme, Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI)
Reinhard Grünwald, Head, Assessment Project on Autonomous Weapons Systems, Office of Technology Assessment at the German Bundestag, Berlin
Anna Katharina Ferl, Peace Research Institute Frankfurt (PRIF/HSFK)
Ann-Sophie Fischer, Center for Security Studies (CSS), Zürich (invited)
Florian Keisinger, Airbus Defence and Space, Berlin
Bernhard Koch, Deputy Director, Institute for Theology and Peace (ithf), Hamburg
Wolfang Koch, Director, Frauenhofer Institute for Communication, Information Processessing and Ergonomics (FKIE)
Markus Höpflinger, Head, Research Project of “Unmanned Mobile Systems” Armasuisse, Federal Departement of Defence, Switzerland
Thea Riebe, Researcher, Technische Universität (TU) Darmstadt
Olaf Theiler, Head, Future Analysis Branch, Bundeswehr Planning Office, Berlin
Maaike Verbruggen, Researcher, International Security, Institute for European Studies, Vrije Universiteit Brussel
* vorläufige Zusage
Abschlussdiskussion mit Impuls von:
Botschafter Peter Beerwerth, Ständiger Vertreter bei der UN-Abrüstungskonferenz, Auswärtiges Amt, Berlin/Genf
Mary Wareham, Koordinatorin, Campaign to Stop Killer Robots, Washington D.C.
Anja Dahlmann, International Security Research Division, German Institute for International and Security Affairs (SWP), Berlin